Wir laden Sie ein zu einem Exkurs in künstlerische Erfahrungen des Menschseins. In ein Abenteuer das mehr (ent)hält als ein elektronisches Medium verspricht. Der Wunderblock öffnet das Werk des Künstlers Manfred Scharpf Schicht für Schicht. Eine wahre Heldenreise durch fünfzig Jahre der Selbstbehauptung in der Moderne.

Veröffentlicht am17.09.2020

Alchemie des Glücks

Ich bin als Kind ausgezogen um das Fürchten zu lernen und bekam stattdessen alles geschenkt was das Leben zu bieten hat. Warum? Wie kommt es dass einem wie mir solches Glück zuteil wurde? Einem wie mir, selbstgerecht, arrogant und anmaßend? Vielleicht weil ich vertraue auf die Richtigkeit von Verstand und Gefühl, vielleicht weil ich mir meiner Fähigkeiten und Schwächen bewußt bin, vielleicht weil ich Maß nehme an mir selbst und mich an meinen Taten messe.

Es gab einiges zu bestehen in diesem Leben was andere sicher zur Verzweiflung gebracht hätte. Woher also dieses Glück? Glück ist Wohlstand, Gesundheit – aber nicht nur. Für mich ist es ein Glück, ohne besondere Ängste leben zu dürfen, ein Urvertrauen bekommen zu haben mit dem ich mich auch über die düsteren Farben des Lebens wert und angstfrei freuen darf. 

Leonardo vergleicht das Glück der Inspiration mit einem Besucher am Eingang einer dunklen Höhle in Erwartung des Wunderbaren, das die Dunkelheit vielleicht für ihn bereit hält. 
Deshalb ist für mich die Farbe des Glücks das Schwarz. Ich hatte das Glück unmittelbar nach einer Katastrophe zur Welt gekommen zu sein, doch meine Existenz begann neun Monate zuvor, mitten im Chaos. Ohne die Katastrophe des Krieges wäre ich nicht entstanden, hätte nicht meine Frau Renata getroffen und es gäbe auch nicht unsere kleine Tochter Sophia. 
Ich hatte das Glück der Begegnung von Vater und Mutter im Städtchen Budweis in Tschechien, dem Land das mir bis heute die tiefsten Ideen vermittelt. Ich hatte das Glück eines Kunst liebenden Vaters und einer warmherzigen Mutter. Alle Konflikte meines Lebens – und die waren zahlreich, konnte ich mit diesem Vertrauen in das Leben und in dessen unumstößliche Realität bewältigen. 

Meine Arbeit findet auf der Grundlage der Alchemie statt. Die Alchemie verursacht in mir unglaubliche Glücksgefühle in der Arbeit mit kostbaren natürlichen Pigmenten und Malmitteln. Ich werde zum Beherrscher der Materie. 
Der Weg zu einem Bild entspricht der Transmutation von Blei zu Gold. Oft lasse ich mir deshalb den Preis für ein Bild in Gold auszahlen. Doch steht auch hier das Dunkle und Schwarze am Anfang. Es geht um eine kurzzeitige doch kontrollierte völlige Identifikation mit Thema und Inhalt des Werkes. So erlebte ich ich im Falle eines Themas über den Krieg die Tragödie zweier junger abgestürzter Piloten deren Bergungen ich begleiten konnte. 

Glückliche Momente führen selten zum Werk. Beinahe immer begegnet mir das Glück in der Dunkelheit und im Schatten in dem ich wie Leonardo das Wunderbare erkenne. Ohne die dunklen Momente würden wir kein Glück empfinden und keine Erkenntnis erfahren, so wie die dunklen Pigmente in einem Werk erst die Leuchtkraft der anderen Farben hervorheben. Ein Kunstwerk zeichnet sich nicht nur durch Helligkeit aus, sondern in der Interaktion aller Farben und Schattierungen. Ein Bild wirkt besonders eindrucksvoll wenn die Farben nicht vermischt werden sondern in reiner Form nebeneinander stehen. Das entspricht einem Lebensteppich der ja nicht grau in grau sein soll, sondern schillernd wie das Leben und die Schöpfung selbst. 
Das Glück versagt sich uns in dem Moment in dem wir uns auf die Jagd nach ihm begeben. Es ist wie die Jagd nach einem edlen Wild die wir nie gewinnen werden. Das Glück ist potentiell immer um und in uns. Doch erkennen wir es nur in jenen kurzen Momenten wenn sich Verstand und Gefühl verbinden. Deshalb ist das Sehen für mich als Maler so wesentlich. Das Sehen ist die Pforte der Wahrnehmung, wie für den Musiker das Hören. 
Die gegenwärtige Zeit trägt viel Glückspotential in sich, eine Sensibilisierung der Menschen, die Ahnung von der Illusion der Selbstverständlichkeit, die dabei hilft das Glück einzuladen. Ein Blind Date mit den Farben des Lebens zwischen Nächten und Umnachtung. 

Auch beim Wunsch Glück zu haben, glücklich zu leben ist der Weg das Ziel. Es ist schön die Strahlen der Sonne über die Haut tanzen zu lassen, ihre Wärme zu spüren. Doch entspringen sie einer Quelle völliger Dunkelheit. Dort im inneren des Sterns wird die Strahlung und Wärme geboren, treten in den Raum, wie das Kind die Glückseligkeit im Bauch der Mutter tauschen muss gegen die Realität der Welt. Wir ahnen dass wir dahin zurück wollen, in diesen Raum der Seligkeit, versuchen es zumeist mit untauglichen Mitteln wo er doch so nahe läge. Was ist das Glück in der Kunst? Die Kunst hat das Ziel die verlorene Ganzheit des Menschen in ihrer gesamten Schönheit neu zu erschaffen. Wir alle sind Meister des Universums, keine noch so kleine Tat, kein noch so kleiner Gedanke der nicht das Universum machtvoll verändert, in etwas das es vorher nicht war. Dann ist der Moment der Erkenntnis nahe - dass es keine Zeit gibt, kein Vorher und kein Nachher, dass alle Bilder der Welt, alle Menschen und die gesamte Schöpfung immer waren und immer sein werden. 

September 2020