Wir laden Sie ein zu einem Exkurs in künstlerische Erfahrungen des Menschseins. In ein Abenteuer das mehr (ent)hält als ein elektronisches Medium verspricht. Der Wunderblock öffnet das Werk des Künstlers Manfred Scharpf Schicht für Schicht. Eine wahre Heldenreise durch fünfzig Jahre der Selbstbehauptung in der Moderne.

Veröffentlicht am 26.01.2021

Begegnung, Berührung und Durchdringung - Manifest der verbotenen Früchte

Prolog
Nach sieben Jahrzehnten die sich zunächst verheißungsvoll als ein Tor in die Zukunft öffneten und die Utopie „des Niewieder“ verkündeten begann er wieder: der schleichende Abbau des Menschlichen. Die Berührung mit der Welt, ihr unmittelbares wie kontemplatives Erkennen und Empfinden begann zu schwinden. Die Sinne des Sehens, Hörens, Fühlens, des Geschmacks und Geruchs wurden vom selbsternannten „Maß aller Dinge“ als zu primitiv und seinem halbgöttlichen Genius nicht angemessen verdammt.

Damit einher ging der Verlust einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit der Schöpfung, der inneren Schau, der Phantasie und Intuition, die nur noch als eine Störung im Konsumregelwerk begriffen wurden. Von den über hunderttausende von Jahren angeeigneten menschlichen Fähigkeiten im Umgang mit der Welt und ihren Naturgesetzen bleibt uns am Ende nur ein kläglicher Rest. Stattdessen feiern wir kostenpflichtige Erleichterungs- und Ersatzmittel, denen wir uns unwidersprochen hingeben... 

Es scheint hilfreich, nach dem oben gesagten die Wörter „Besonnen und Besinnung“ erneut in Erinnerung zu rufen. Sie deuten auf einen Sinn der mit Hilfe unserer fünf Sinnesorgane entsteht, aber nur unter Einbeziehung des Sechsten, der Intuition und dem Verstand die Orientierung in der Welt gewährleistet. 
„Besinnungslos“ dagegen bedeutet die Ausschaltung oder Verkümmerung dieser Wahrnehmungsorgane. Dementsprechend ist Orientierungslosigkeit zu einem Wesenszug des modernen Menschen und seiner Gesellschaften geworden. Sich zu besinnen ist aus der Mode gekommen, andere „Führer“ haben die Sinnstiftung übernommen und beherrschen nun das Feld das uns einmal allein im Zusammenspiel des Verstandes mit den Sinnen und der Intuition zur Verfügung stand. 
Wo stehen wir? Mitten in einem Komplex globaler Mächte, von diesen entmündigt und in Beschlag genommen – bis wieder das „Aufbrüllen der stummen Fische“ ertönt, welches die zu Ende gehenden Zeitalter immer begleitete. 

Mythos
„Und Eva reichte Adam den Apfel, die süße Frucht vom Baum der Erkenntnis.“ Als Liebhaber kulinarischer Genüsse ist mir kaum vorstellbar dass die Eltern der Menschheit auf diese Einverleibung verzichtet hätten schon deshalb weil sie mit einem Verbot behaftet war. Aus meiner angeborenen Abneigung gegen Verbote und Verordnungen, göttlich oder nicht, steht mir solches sehr nahe. Lieber halte ich es mit dem schlauen Paulus – genieße alles, aber allein das Gute behalte“. Der intuitiven, sinnlichen und vernünftigen Wahl der Mittel folge ich bis heute, im Leben wie im Werk. Doch selbst im Griff nach dem Falschen ließ ich mich nicht beirren, erwies er sich doch später oft als im Grunde weiterführend und vorteilhaft. 
Natürlich ziehe ich es vor statt Wasser lieber Wein zu trinken, nehme dafür gerne Konflikte, Anstrengungen und gelegentlichen Schmerz in Kauf. Wie in biblischen Zeiten, in denen die Lust am Leben ihren Preis hatte, der Weg ins Paradies durch unerwünschte Maßregelungen erschwert wurde, so ist er für mich doch nicht unmöglich, sondern besonders anziehend. No pain – no gain. 
Der zivilisierte Mensch von Heute glaubt, mit trickreichen Hilfsmitteln und seiner Erfindungsgabe den steinigen Weg ins Paradies auf leichte Weise zurücklegen oder sogar umgehen zu können. Unter Paradies stellt er sich allerdings etwas ähnliches vor wie ein Schlaraffenland in dem ihm die Genüsse des Lebens unverdient zuteil werden. Ein Irrtum wie wir feststellen, je mehr wir fortschreiten in der zeitgenössischen Hektik des geringsten Widerstandes. 

Die Einverleibung des verbotenen Apfels wäre vielleicht unterblieben, hätten Adam und Eva ihn genauer unter die Lupe genommen und ihn mit der Gabe des Verstandes analysiert. Doch der erwies sich, wie wir aus der Historie der Menschheit wissen, auch in diesem Fall nur als ein dürres Ästchen am Baum der Erkenntnis. Die kleinen braunen Flecken in der Frucht, erste Anzeichen der Vergänglichkeit wie sie die Natur allem mitgibt was sie gebiert, hätten vielleicht zur Vorsicht gemahnt. Oder war den Beiden gar bewusst, dass trotz dieser Symptome der Fäulnis ein Licht im inneren der Frucht leuchtet, dessen Strahlung jenen zuteil wird die den Biss wagen? 
Die Frucht vom Baum der Erkenntnis unterliegt heute zwar nicht mehr dem abgeschafften Verbotskatalog Gottes, doch Hohepriester neuer Götter verkünden jetzt das Evangelium spontaner Freiheit und globalen Weltverbrauchs. Wie Götter errichteten sie ihren Sitz über den gemeinen Sterblichen, dulden keinen Widerspruch und häufen stattdessen monetäre Gewinne. 

Die sich berührenden Hände von Mensch und Gott in der Genesis Michelangelos an der Decke der Sixtina sind in unserer Zeit zu Werbeartikeln, Heuchelei und reiner Phrase verkommen. Weder unmittelbare Berührungen zwischen den Menschen sind gewollt, noch die Berührung mit der Natur und ihren elementaren Gesetzen, weder mit Herkunft und Zukunft, weder mit der Kunst. Wir werden von nichts mehr wirklich berührt, begegnen uns mit angstverzerrten Gesichtern, vielleicht höflich – am  liebsten aber gar nicht. Vergangenheit und Zukunft sind ausgeblendet und auf den Augenblick des Hier und Jetzt reduziert, die Natur ein Missbrauchsopfer und als ausbeutbare Ressource genutzt, die Kunst zu nichtssagenden Unterhaltungsfloskeln der kulturellen Reinwaschung, oder als museale Touristenattraktion heruntergekommen. Doch dämmert es manchen: unser größtes Defizit, die vielbeschworene Empfindsamkeit, erlebt durch die Sinne, kehrt erst dann zurück, wenn wir die Realität unserer Existenz wieder ins Zentrum unserer Sinne rücken, mit dem Kreis des Lebens, mit Geburt, Krankheit und Tod, Verlust des uns Wertvollsten, im Erkennen unseres manipulierten falschen Lebensgefühls – aber auch in der Schönheit der Welt. 

Zwei Wissensfelder haben mich und mein Werk im Besonderen begleitet. Die Techniken der alten Meister, vor allem die Traktate Leonardos und die klassische Psychoanalyse, die ich selbst erst nach meinem siebten Lebensjahrzehnt in ihren Konsequenzen begriff und bestätigt fand. Wie Teile eines Puzzles, zunächst verworren und chaotisch fügten sich die Erfahrungen, Einsichten und Einblicke nun zusammen und verschafften mir einen Überblick, eine Topografie der Lebensereignisse in ihren Höhen und Tiefen. Die Einsicht in das unbedingte Nebeneinander von Positiv und Negativ, von Gut und Böse, von Schön und Hässlich und allen anderen Gegensatzpaaren die unsere Existenz ausmachen steht dabei ganz oben. Analytisches Denken und Handeln im Werk auf der Suche nach den Wurzeln unserer Seele sind das gedankliche Handwerkszeug meines künstlerischen Antriebs. Es bereitet mir keinerlei Mühe die Erkenntnisse und Bestrebungen der impulsgebenden historischen Gestalten mit meinem eigenen Leben zu verbinden weil die lineare Zeit im kreativen Feld keine Rolle spielt. Die Wirkung des grenzüberschreitenden Unbewussten und seiner Dominanz ist für mich leicht nachvollziehbar, führte sie mich doch immer zuverlässig, aber oft auf seltsamen ungeplanten Pfaden dorthin wo ich Erkenntnisgewinn erwarten durfte. Ließ ich mich davon leiten und es geschehen, dann fiel mir der verbotene Apfel Evas beinahe wie von selbst in den Mund. Bis zum heutigen Tag steht deshalb das Interesse um die Rätsel der menschlichen Seele im Hintergrund meines Schaffens, bildet zusammen mit handwerklichen Fähigkeiten meine Kunst. 

Es ist mir wichtig näher auf diese Grundelemente meines Werkes einzugehen. Den Urhebern beider prägenden Wissensbereiche, die sich in Wahrheit nur in der Form unterscheiden, ist gemeinsam, dass es ihnen gelang zahlreiche Schleier zu heben mit denen „Frau Welt“ ihre Nacktheit vor den Menschen verhüllt. Leonardo, der Künstler wollte es genau wissen. Wie ein Archäologe grub er des Nachts verbotenerweise in menschlichen Körpern, durchdrang sie mit dem Skalpell der Neugier und nutzte die solcher Art erfahrene Anatomie für den Dienst an der Kunst, des Geistes und der Naturwissenschaft. Durchdrungen war er aber auch  ein Leben lang vom liebevollen Lächeln der sich zu ihm als Kind neigenden Mutter. Für uns heute so zeitlos und einmalig, weil es in unserer Gesellschaft kaum noch Wert besitzt. Später floh er aus dieser glückseligen kindlichen Umarmung und überließ seinem Animus das Feld, entwarf Kriegsmaschinen und technisches Gerät. Doch bis zuletzt bewahrte er das Bild der Gioconda dem er wie den meisten seiner anderen Portraits den gütigen und geheimnisvollen Ausdruck der Mutter mitgab. 
Der Entdecker der Psychoanalyse, S. Freud, fünfhundert Jahre später, legte die menschliche Seele frei, befreite sie mit dem Skalpell seines kristallenen Verstandes aus dem Wirrwarr des Aberglaubens und theologischer Spekulation. Eine tatsächliche Heilung der Menschen traf dabei nicht so sehr sein Interesse, wie er selbst bekannte – sondern primär die Suche nach der menschlichen Seele. Wer sein Werk studiert (was allerdings einigen Mut erfordert denn Viele fühlen sich von den Aussagen bedroht), erfährt eine Erweiterung des Sichtfeldes, eine der Voraussetzungen für die Heilung von Angst und Fremdbestimmtheit. 

Auch mir ging es anfänglich gar nicht darum Künstler zu werden. Ich liebte die alten Kunstwerke und wollte sie bewahren. Die Fähigkeiten dazu waren Mittel die mir als ererbtes Talent vom Vater zur Verfügung gestellt wurden. Doch schon bald begegnete ich der Kunst in Form einer beinahe erotischen Verzückung. Die äußeren Symptome manifestieren sich auch heute noch in einer unglaublichen und geheimnisvollen Erregung die mich bei der Entdeckung neuer Themen und Motive erfasst. Und in jedem Augenblick dieser leidenschaftlichen Affären mit der Welt, mit ihren Begegnungen, Berührungen und spontanen Durchdringungen, öffnet sich auch der geistige Aspekt der Welterfahrung wie eine Vermählung von Himmel und Erde, von Geist und Materie. 

In der Wirkung von Bewusstheit und Unbewusstem und deren Anerkennung liegt die Möglichkeit der Erkenntnis, dass wir – entgegen unserer Selbstanmaßung – keineswegs der Herr in unserem eigenen Haus sind. Wir bewegen uns auf sehr dünnem Eis das über dunklem Gewässer liegt. Unsere Ängste und Prägungen verbieten uns, nicht nur den Blick sondern auch den Schritt in die Tiefe zu vollziehen und sie auszuloten. Wir sind nahezu willenlose Werkzeuge (oder Opfer?) unseres tiefsten Inneren, das sich manchmal als ein Wald voller Ungeheuer zeigt, manchmal aber auch die Schöpfung und ihre Wunder ahnen lässt. Bruchteile von Sekunden vor unseren Entscheidungen sind diese bereits getroffen, das Boot nimmt die Richtung die der unsichtbare innere Fährmann zuweist. In all unseren Entscheidungen äußern sich, ob im Positiven, ob im Negativen und gut getarnt, unsere tiefsten, auch verbotenen Wünsche der Seele. Was wir in Folge als falsche Entscheidung  interpretieren, provoziert oft Gutes, das Gute oft Schlechtes. Liebe führt, wie jeder weiß oft zu Schmerz, Schmerz aber auch zu Liebe. Dem Frieden wohnt der Krieg inne, dem Krieg aber auch der Friede. Distanz fordert Nähe, der Augenblick fordert Geschichte. Alles Negative hat auch das Glück im Gepäck – und jede Entscheidung, richtig oder falsch,  erweitert unseren Horizont.

Begegnung, Berührung, Durchdringung
Die Matrix meines Lebens ist die Kunst. Viele günstige Umstände mussten zusammentreffen damit ich ein erfülltes Leben führen konnte. Die Schrecken des Krieges, die zu einer langen Phase des Friedens führen sollten, der wirtschaftliche Aufbau und Wohlstand, Eltern die mich mit Strenge in einem Haus vollen Kunstverstandes leiteten. Das Glück einer Ausbildung als Kirchenmaler statt eines akademischen Studiums. Aber auch den kritischen Geist, zusammen mit einem erheblichen Selbstvertrauen erhielt ich in meiner Kindheit. 
In den 1970-er Jahren der Auftrag eine Interpretation der Mona Lisa zu malen. Diese damalige Begegnung mit Leonardo blieb nicht ohne weitreichende Folgen, denn der Weisheit seiner Traktate bin ich bis heute treu. Damals erwarb ich auch das Gesamtwerk der klassischen Psychoanalyse, hatte keine blasse Ahnung warum. Das Werk blieb lange ungelesen und erst seit zwei Jahrzehnten finde ich mich darin wieder. Die Impulse daraus sind unter anderem der Grund dass ich mich lieber mit Leidenschaft und bewusst von der Schlange am Baum der Erkenntnis verführen lasse als die Absurditäten der Gesellschaft zu teilen. Ich genieße das farbig flimmernde Wechselspiel der glatten Schlangenhaut und führe Dialoge auf gleicher Höhe mit ihr. Mit angstfreiem Vergnügen koste ich die süße, rot und grüne Frucht, die mir Eva reicht und in der ich nichts geringeres als des „Pudels Kerne“ der Wahrheit entdecke.
Von der implantierten Kunst der Moderne, die bis heute eine hysterische Überhöhung der Emotionen zelebriert, Fähigkeiten dagegen als des Künstlers unwürdig verunglimpft, sich dabei aber ununterbrochen selbst kopiert, blieb ich glücklicherweise verschont. Anmerkung: Nach Leonardo sind Gefühlsausbrüche noch lange kein Kunstwerk. 

Die Malerei war mir immer ein wichtiges Element dem ich mein Leben mehr und mehr unterordnete. Ich hatte Begegnungen mit vielem was das Leben zu bieten hat – speicherte sie ab als Erfahrungen über das Leben selbst. Ich traf auf die Alchemie, auf die historischen Farbmittel der Malerei, die sich als eigenständige und unbestechliche Charaktere zeigten mit denen ich mich auseinanderzusetzen hatte und die mich auch heute noch immer wieder auf den Boden der Tatsachen führen.  

Dann, nach beinahe vierzigjähriger Kindheit und pünktlich zur Jahrtausendwende war die Zeit bloßer Begegnungen und distanzierter Betrachtungen vorbei. Die Zeit intensiver Berührung begann. 
Ich erinnere mich an die Bergung eines jungen abgestürzten Weltkriegspiloten für mein Thema über den Krieg, ich sah sein Blut, seinen zerrissenen Körper – und jetzt drang eine alte Frage wieder mit Macht in mich ein die ich schon als Kind stellte: die Frage nach dem Geheimnis das unser Leben durchdringt.  
War es nicht zwingend und logisch dass eben diese Bergung, die das unbekannte Schicksal eines Menschen ins Licht des Bewußtseins brachte, unweit der Geburtsstadt des Begründers der Psychoanalyse im mährischen Pribor lag? Der Mann dessen Intelligenz die im Dunkel verborgene menschliche Seele ins Licht des Tages rückte? War es nicht ebenso logisch, dass ich kurz danach auf das Thema der Muttergöttinnen stieß, auf Kybele und die Magna Mater, allesamt Repräsentantinnen der „Frau Welt“ – auf den Schlüssel in ihrer Hand mit dem ich meine eigenen Veranlagungen und Verirrungen entschlüsseln konnte? War es nicht logisch, dass meine „Venusbankette“ aus denen viele Bildmotive entsprangen, nur in dieser Landschaft stattfinden konnten? War es nicht ebenso logisch, dass mein Thema über die „Farben des Lebens“ im roten Ocker, mit dem die eiszeitlichen Jäger in Pavlov ihre Toten bestreuten, in Mähren seinen Anfang nahm? Dass überhaupt und beinahe alle Ideen in dieser Region ihren Ursprung hatten? 
Gegen derlei Kräfte war das übrige Getane und Erlebte in den Metropolen, ob in New York, Brüssel oder sonst wo, nichts weiter als schmückendes Beiwerk einer Künstlerbiographie. 
Die Studien des Leonardo, seiner Suche nach dem Geheimnis der Natur entspricht wie das psychoanalytische Seziermesser ein und demselben Motiv: Dem Sichten des Unsichtbaren, der Erfahrung des Unerfahrbaren. Ich wandte Leonardos Technik in meinen Bildern an und stellte die Frage: Warum? Ganz erstaunliche Aspekte eröffneten sich nun – und parallel dazu wuchs meine Sicherheit die mich unabhängig von Beifall werden ließ.  
Alles ist nichts und verloren wenn die geschaute Welt, die gehörte Musik, das Getastete, das Gerochene und der Geschmack des Lebens uns nicht berührt oder durchdringt. Deshalb bleibt reine Theorie ohne sinnliche Erfahrung ein Tonband ohne Aufzeichnung. Durchdrungen und sensibilisiert werden wir allein durch Herausforderungen, Konflikte oder Leid die unser Blut in Wallung bringen und auf diese Weise die mehrschichtig gepanzerte Seele endlich durchdringen. 

Durchdringung
Mit der tat-sächlichen Durchdringung meines körperlichen Habitus, meiner Oberflächlichkeit im Begegnungs-, Beobachtungs- und Berührungsmodus erfuhr auch ich innerhalb eines im Sinn des Wortes einschneidenden Erlebnisses eine neuerliche Erweiterung des Sichtfeldes. Dieser Stachel – nicht wie bisher im Fremden, sondern diesmal im eigenen Fleisch – zunächst eine höchst unlustvolle Erfahrung, bescherte mir aber auch die Gedanken, die ich hier in Worte zu fassen versuche. Vier begabte, fähige und heilende Hände beiderlei Geschlechts, bewehrt mit dem Skalpell, rückten nicht nur meine überholten Vorstellungen zurecht sondern verlängerten zudem auch mein eigenes Verfallsdatum. Wo fand dieses Ereignis statt? Nur wenige Meter entfernt von meinem vor zehn Jahren gemalten Zyklus der Mona Lisa, einer Variation über „Frau Welt“. Dort, vor der Radiologie hatte man das Werk platziert das ich einst wie durch Röntgenaugen gesehen auf vier Tafeln gebannt hatte. Und nur wenige Tage später fand das Werk „Mona Lisa Sunrise“, gemalt mit dem Pariser Künstler DenEnd ein neues Zuhause...


Resümee und Epilog
Nun habe ich über vieles sinniert, gesonnen und gesponnen – und im Gewonnenen schließt sich auch jetzt wieder, wie in meinen früheren Manifesten, ein Kreis. Ich habe auf die Sinne verwiesen, und auf die erkenntnisfördernde Durchdringung und Erfahrung der Welt mit Hilfe unserer sinnlichen und intuitiven Wahrnehmung. Begonnen hatte ich bei Adam und Eva und kam zu den Händen die mich selbst durchdrungen  hatten. 
Doch stelle ich alles behauptete gleichzeitig wieder auf den Prüfstand. Könnten wir denn existieren wenn wir von allen Begegnungen und Berührungen dauerhaft durchdrungen würden? Dann fänden wir uns im negativen Aspekt der Durchdringung, einer Fixierung wieder. Die Kunst des Lebens wie der Malerei liegt aber im ununterbrochenen Tanz zwischen Distanz und Begegnung, Berührung und durchdringender Identifikation. In der Gleichzeitigkeit der Sinne, der Intuition und dem Verstand.
Die Berührung mit den historischen Meisterwerken, mit Philosophie und Psychologie sind das Feld in das ich hineingeboren wurde. In ihnen berühren und durchdringen mich deren Schöpfer mit dem was sie taten und mit dem was ich heute tue. Die Gedanken die aus ihrem Werk zu mir sprechen sind stellvertretend für die Begegnungen, Berührungen und Durchdringungen meiner Welt. Bewegt von diesen Kräften, die unsichtbar in sichtbaren Werken mich doch immer sicher geleiteten, bleibt mir die Freude als ihr Werkzeug zu dienen. Und aus dieser Kraft und mit ihr habe ich diese Zeilen geschrieben. 
24. Dezember 2020