Seit über einem Jahr verwendet der Maler M.Scharpf den Begriff BLIND DATE für seine Themen. Was ist ihm daran so wichtig? BLIND DATE bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch eine Begegnung zwischen noch Fremden mit erotischer Absicht. Der Künstler bezieht den Begriff jedoch auf das Abenteuer des Lebens mit seinen oft übersteigerten Erwartungen und Illusionen, aber auch auf die täglichen reizvollen Begegnungen mit „Frau Welt“ und ihren bisher nicht wahrgenommenen Wirklichkeiten des Menschseins.
„BLIND DATE“, 2018, Öl auf Holz
Mit dem kritischen Charme seiner Landschaft blickt er auf die zeitgeschichtlichen Entwicklungen. Trifft ein äußeres Ereignis wie in einem „Deep Impact“ auf die innere Bereitschaft des Künstlers, beginnen die Stoßwellen über das von Außen angeregte Thema zu wirken. Dann begibt sich der Künstler auf eine Reise in die Urgründe der Phänomene die zum Ereignis führten. Erst dann setzt er das Thema auf seinen Bildtafeln in eine für sich und Andere gültige Botschaft um.
Als Spezialist alter Techniken könnte man seine Kunst mit gutem Grund „Basic“ nennen. Tatsächlich „Basic“ ist vor allem der malerisch handwerkliche Kanon, der ihn unabhängig von Ideologien und Moden des Zeitgeistes werden ließ.
Die Kluft zwischen der Seele der einfachen Menschen und der gebildeten Elite ist bekanntlich beinahe unüberwindbar. Auch hier fehlt es an einem Blind Date. Für den Künstler Scharpf aber bedeutete diese Hängepartie nie Probleme. Bereits vor vier Jahrzehnten, als er einer wilden ländlichen Bohemiade fröhnte, mit Kuhmist auf gefrorenen Wasserleitungen und seinem Sarkophag auf der Wiese (mit dem er des Winters den Berg hinunter rodelte - direkt vor das Portal des Gourmettempels Hirsch in Wurzach), genoss er die Achtung der ihn umgebenden Bauern, die ihn auch heute noch als starken und dennoch versöhnenden Charakter beschreiben. Das Spektrum der Freunde seiner Kunst reicht vom Politiker über den Wissenschaftler und Techniker, bis hin zum Handwerker und Bauern. Kunst als Versöhnung der verschiedensten Schichten der Gesellschaft.
Dieser solide Grund wird durch seine Erfahrungen mit der menschlichen Seele ergänzt, eine Auseinandersetzung die dem Maler einen Blick weit über den Horizont des täglichen Lebens hinaus gestattet.
Seit Sigmund Freud und vor allem seinem Modell der „drei Instanzen – ES, ICH, ÜBERICH“ ist nahezu unbestritten, dass die menschliche Natur überwiegend vom Unbewussten bestimmt und geleitet wird. Auch – was der Narziss von heute gar nicht gerne hört, der sogenannte Verstand. Das heißt, die in unserer Zeit so sehr im Vordergrund stehende Ratio ruht auf wackligen Füssen, wir sind nicht Herr in unserem Haus. Wenn es ernst wird oder zu gut läuft reagieren wir reflexhaft-emotional und blenden die Menetekel an den Wänden unserer betonierten Denkgehäuse aus. Erinnern wir die Antike: weder der babylonische König Belsazar noch der eitle Krösos hörten auf ihr Orakel. Beide Schicksale endeten tragisch und ihre Reiche zerfielen...
Heute wird der Verstand auf den wir so stolz sind, weil er uns vom Tier unterscheiden sollte, mehr und mehr vom Trieb nach schneller Befriedigung dominiert. Unser ICH, die entscheidende Instanz zwischen Trieb und Gewissen, unser Selbst-Bewusstsein ist geschwächt und anfällig geworden. Aus dieser Entwicklung heraus sind wir nicht in der Lage die langfristigen Folgen unserer Handlungen kritisch zu bedenken.
Livestream, 3.1.2019
Pribor/Mähren
„Es ist als wollte mir dieser Jahreswechsel mit dem Ausbleiben des Schnees, der sonst die Landschaft wie auch negative Erfahrungen und Erlebnisse des vergangenen Jahres gnädig verhüllt, diese ein weiteres Mal vor Augen führen. Ich fahre vorbei an Brünn, Olmütz und Odry, in dessen Nähe wir einst einen jungen abgestürzten Flieger des Krieges geborgen und mit einem Kunstprojekt sein Schicksal aufgeklärt hatten.
Nun geht es um andere Stürze und Abgründe. „Sich niederlassen, sich besinnen - aufstehen und handeln.“ - war eine Forderung Freuds, dessen Spuren mich hierher führen. Ich lese den Spruch auf dem bronzenen Denkmal seines Sofas vor seinem Geburtshaus. In nächster Nähe die Kirche. Vor dem Portal in einem Aushängekasten das Foto einer dunklen Madonna, dem Gnadenbild im Altar des Kirchenschiffs.
Das Geheimnis der schwarzen Madonnen motivierte vor eineinhalb Jahren eine Reise nach Paris - doch begegnete ich statt der erwarteten mittelalterlichen Skulpturen dem Streetart Künstler Lacroix, der eine weitere Phase in meinem Werk einleitete.
Hatte der junge Freud die dunkle Madonna in seiner unmittelbaren Nachbarschaft und die für das Unbewusste steht, damals gesehen? Vieles in seinem genialen Werk spricht dafür. Das kleine Museum in seinem Geburtshaus ist geschlossen. Doch nehme ich einiges mehr mit als es das innere des Hauses 117 vermitteln könnte. War doch für ihn selbst eine Psychoanalyse bei Künstlern höchst überflüssig - er hielt die Kunst für das beste Mittel der Selbstheilung.“
Vor achtzehn Jahren bekam der Maler erhebliche Kritik für sein europäisches Integrationsprojekt „Die Rückkehr des Herzens“, zwischen der Slowakei und Deutschland. Von Herzen zu reden, meinte damals ein Politiker, sei doch vollkommen unangebracht – kühler Verstand sei jetzt gefragt und eine gemeinsame Währung. Ihm war nicht bewusst, dass ein von Geld dominiertes politisches Projekt schließlich auch die zerstörende Gier in sich trägt. Nebenbei gesagt, für Künstler und „beherzte“ Menschen existieren keine Grenzen, weder nationale, kontinentale noch in persönlichen Begegnungen.
Livestream, 2015/Münster
ZOO
„Die menschgewordenen Verwandten des Orang-Utans Weibchens pressen sich an die Panzerglasscheibe die den Menschen vom Tier trennt. Gespannte Erwartungen in den Gesichtern. Da erscheint sie, die große Mutter mit ihrem Kind. Sie wiegt es im Arm während sie näher kommt, setzt sich ohne die Menschen hinter dem Glas auch nur eines Blickes zu würdigen, mit dem Rücken zu ihnen. Draußen drängt sich die Krone der Schöpfung, um einen voyeuristischen Blick auf die Stillende zu erhaschen. Plötzlich wendet sie den Kopf. Mit unendlich wehmütigem Blick greift sie nach einem Stück Jute, zieht es über sich und das Kind. Die Menge wendet sich enttäuscht ab, beschwert sich, wie ich später erfuhr bei der Direktion.“
Heute macht sich ein neuer Mangel bemerkbar. Das moderne Symptom der „gebrochenen Herzen“ weist auf unseren seelischen Zustand hin. Defizite im Gefühl können aber nur mit Gefühlsleistungen ausgeglichen werden, wie sie beispielsweise die Kunst bietet. Kunst vereinigt Seele und Realität in einem Kunstwerk. Wir könnten davon profitieren, wären wir nicht vom Altersstarrsinn einer satten Demokratie träge geworden.
Den Überblick zu haben, das ist dem Maler Scharpf nicht fremd. In seiner Ausbildung auf hohen Gerüsten unter Kirchengewölben kam er mit den kulturellen Relikten der Jahrhunderte in Kontakt. Damit erhielt er eine Übersicht über das Große und Ganze, dessen Wahrnehmung uns auch die positiven Aspekte der Welt vor Augen führt. Aus solchem Hintergrund, verbunden mit den Erfahrungen aus verschiedenen fremden Kulturen – und ebenso heimischen Tabuzonen entstand seine Sicht auf die Welt in ihrer Ambivalenz. Einmal präsentiert sich ihm diese als paradiesischer Garten Eden oder als Garten der Lüste. Aktuell jedoch als Schlachtengemälde eines kalten Krieges der Gesinnungen. Seine gemalten Zeitdokumente und Prognosen, vor über zehn Jahren entstanden, werden nun von der Wirklichkeit eingeholt. Freude oder Genugtuung darüber scheint dem Maler nicht angebracht.
Livestream, Dezember 2004, Kaisers Bergung
....Polousi/Mähren
„Ein altersschwacher Bagger aus kommunistischer Ära rückt an, kriecht aus dem Nebel des Dezembermorgens wie ein riesiges Insekt. Und dann bewegt sich die mächtige Schaufel mit urtümlichem Knarren. Gebannt starren wir in den größer werdenden Abgrund. In vier Metern Tiefe blitzt zerfetztes Metall der Messerschmitt auf mit dem der junge Kaiser am Ende des großen Krieges in die Erde raste. Nach drei Stunden ist sein Schicksal aufgeklärt. Der bis dahin Vermisste wird im Licht dieses Tages zum gestürzten Menschen – die Reste seines Körpers, seiner Kleidung und seines Fluggeräts legen Zeugnis ab über einen Jungen der nichts weiter wollte als sich fliegend abzuheben.“
Seit längerer Zeit geht der Maler nicht nur mit der Gesellschaft sondern auch mit sich selbst hart ins Gericht. Für ihn ist Schubladendenken eine hoffnungslos antiquierte Vorstellung, welche nur die Leere unserer Seelenkommode wiederspiegelt. Die innere Farblosigkeit wird ersetzt durch eingefärbte Strömungen von Gesellschaft und Politik. Doch ohne Selbstkonfrontation, bei gleichzeitiger Wahrnehmung der Koordinaten unseres seelischen Ordnungssystems bleibt selbst das größte Engagement für eine bessere Welt hilfloses Unterfangen und zerstörerische Utopie.
Livestream 8.12.2018
Der erste kalte Tag
„Heute ist Wildschweinjagd. Geländewagen von Porsche und Menschen im Jagdkostüm von Armani reisen an. Bauern und Waldarbeiter in leuchtfarbenen orangenen und gelben Westen treiben das Wild vor die Mündungen der Büchsen. „Wer jagt hier eigentlich wen?“ – frage ich mich. Auf der Wiese vor dem Wald bläst der Sturm das Laub in die eine, dann in die andere Richtung. Wie sich die Bilder gleichen – den ganzen Tag über werden die „gelben Proteste“ aus Paris in den Medien übertragen. Wie die gelben Herbstblätter flutet auch dort die Menge vor und zurück. Welchen Gesetzen gehorcht sie? Wer hat den Wind gesät? Wer erntet den Sturm?“
„WINDSBRAUT“; 2011, Öl auf Holz/Zyklus Faust
Manche Stürme hatte auch der Maler zu bestehen. Aber sie motivierten immer neue Ideen. Denn – „Kunst ist Bewegung“, sagt er. Oft bezieht er Informationen aus dem Wissen anderer, z.B. von seinem Sohn Adam, dem Politologen mit Schwerpunkt Gewaltforschung. Das Werk des Anonymus, dem Notar der Seele folgt den Parametern dieser Wissenschaft in gemalten Naturmetaphern. Eiszeit – Quelle / Tote Erde – Eruption. Inmitten dieser Aggregatzustände des Menschseins weist Anonymus auf das goldene Diagramm der Schöpfung. Das ist weder ein esoterisches Mandala noch eine zisterziensische Fensterrose, sondern einfaches Wasser, mit der Frequenz von 50 Herz beschallt. Verändert man die Tonfrequenz entsteht zunächst Chaos, dann formiert es sich zu neuer Ordnung. Ein Gleichnis für Aufstieg und Zerfall von Gesellschaften unter veränderten äußeren Bedingungen.
In jüngster Zeit erfuhr der Maler einen neuerlichen Quantensprung – die völlig absichtslose Begegnung mit der Streetartkunst des jungen Denis Lacroix in Paris, dessen Farbigkeit an die Glasfenster von St.Chapelle erinnern. Auch in diesem Fall hatte der Maler keine Mühe sich auf das Andere, Fremde einzulassen. Im Gegenteil, er bezog es in seine Arbeiten ein und ließ sich von dem jungen Maler inspirieren.
Drei interaktive Werke veranschaulichen dies. Mit einem Experiment gleich zu Anfang, dem „Fremdling“ wird gezeigt, dass historische Pigmente problemlos die Leuchtkraft moderner Farbmittel erreichen, dazu noch sogar die Zeiten überdauern. Im Bildnis „M.L. Sunrise“ schufen beide Künstler ein Werk über das wohl berühmteste Gemälde der Welt. Dafür opferte Scharpf einen wertvollen florentiner Originalrahmen aus der Zeit Leonardos, was ahnen lässt wie wichtig ihm dieses Werk ist.
Vor Ort, im Zeiler Atelier, entstand im Juni 2018 das Bild des Dionysos, dem Gott des plötzlichen Wandels. Ein Jahr vor den Protesten in Paris entstanden ist es an Aktualität kaum zu übertreffen. Den Hintergrund des bewehrten Dionysos bildet der nahe gelegene Zeiler Wald und die Eisenkonstruktion des Eiffelturms. Im Vordergrund die metaphorischen Tiere der Triebkräfte, die, unter Kontrolle durch den Geist gebracht den Künstler zur kreativen Tat – und auch uns manchmal in Bewegung bringen.
„DIONYSOS“, 2018, Kooperationsbild M. Scharpf und Den End, Öl, Eitempera, Acryl, auf Holz
Kunstwerke entstehen zumeist aus dem plötzlichen Einfall. Schon dies zuzulassen erfordert Mut, denn ihre Existenz schöpfen sie weniger aus Momenten des Glücks als aus Momenten der Verzweiflung. Sie sind, wenn wahrhaftig, nichts anderes als ein Akt der Existenzbewältigung, der Innen und Außen in Balance bringt.
Die konkrete Eindringlichkeit der Scharpfschen Bilder führt uns, wenn auch manchmal nur mit gemalten „gelben Wespen“ auf die Gesetze der Natur zurück, denen auch wir – ob wir wollen oder nicht, unterliegen. Jedoch sträuben wir uns mit Haut und Haaren dagegen und liefern uns lieber Heilsversprechen und Utopien jeglichen Couleurs aus. Für einen wie Scharpf, der sein Leben lang die Charakteristika historischer Pigmente und deren Anwendung erforschte, ist die Überfärbung von Gesinnungen in politische Farben allenfalls eine Farce, besser noch - ein Gräuel. Es ist damit wohl eher auch das Bunte gemeint, das für den Maler substantiell jedoch in krassem Widerspruch zur Farbe steht.
Die Zukunft kann nur derjenige meistern, der weiß woher er kommt. Wenn es uns gelingt, die kulturellen Qualitäten der Vergangenheit und Tradition mit den Errungenschaften der Moderne sinnvoll zu verbinden, erhalten wir vielleicht eine wirksame Rezeptur für unsere und die Zukunft unserer Kinder.
Bilder wie die des Künstlers Scharpf können dabei behilflich sein, denn sie sensibilisieren uns für die Fallen, in die wir uns verstricken und verstricken lassen. Sie regen an, diese zu erkennen und vielleicht zu meiden. Dass wir aus Bequemlichkeit oft und leicht zum Opfer werden, das zeigt eine Kunst die nur noch den Markt bedient und nicht den Menschen. Sich dem auszuliefern heißt zum Sklaven und Opfer zu werden. Und dann trifft uns, wenn wir Glück haben, die unerwünschte Erfahrung des Plötzlichen. In ihm die schöpferischen Potentiale zu sehen und zu befreien, das ist ein BLIND DATE mit unserer Zukunft.
„Und Plötzlich“, 2018, Öl auf Holz
Livestream 9.12.2018
„Der Maler tritt an die Staffelei. Er hat den Hintergrund des Bildes seiner Tochter verändert. Davor war es eine ockerfarbene Hauswand im Sommer. Jetzt plötzlich sieht man einen Wald im Schnee. Kaum tritt man näher werden aus den Baumstämmen, Ästen und weißen Flächen abgeblätterte Farbschichten, welche aus Abstand betrachtet die Illusion eines Winterwalds erzeugen. Eine trügerische Welt beherrscht und ins Lot gebracht einzig und allein von der geistigen Kraft eines Kindes.
Aus Notizheften des Malers zusammengestellt im Dezember 2018, Renata Scharpf Tejová