Wir laden Sie ein zu einem Exkurs in künstlerische Erfahrungen des Menschseins. In ein Abenteuer das mehr (ent)hält als ein elektronisches Medium verspricht. Der Wunderblock öffnet das Werk des Künstlers Manfred Scharpf Schicht für Schicht. Eine wahre Heldenreise durch fünfzig Jahre der Selbstbehauptung in der Moderne.

Veröffentlicht am09.12.2022

Garten der Unendlichkeit

Porta patet, cor magis - Das Tor ist offen, das Herz noch mehr

Alles was mir begegnete, widerfuhr und was ich als Maler in Bildern wiedergab, empfinde ich als Schritte auf ein geheimes Portal zu das sich nun langsam öffnet. Inspirationen und gemalte Metaphern, gleich welchen Themas erweisen sich als Ahnungen, als leidenschaftliche Wegweiser durch ein imaginäres Tor.

Wenn wir uns verändern wollen – und Veränderung ist ein Charakteristikum des Lebens selbst – ist es unverzichtbar als erstes einen Blick auf uns und in sich hineinzuwerfen – schonungslos den in uns schlummernden Fremdling zu entdecken. Wir erkennen dann, wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, dass die Ursache aller Konflikte in einer totalen Unkenntnis dessen liegt was unserer Existenz am nächsten ist – unsere Seele, eine Terra Incognita. Infolge unserer Verwirrung von Ichsucht und Ichbewusstsein die unseren Geist trüben und ihn zersplittern, stolpern wir durch unser Leben, auf einem oder beiden Augen blind, unfähig die eigentlichen Ursachen unserer Krisen zu erkennen.

In der Leidenschaft überwinden wir unsere Logik und uns selbst. Die Leidenschaft die mich seit meiner Kindheit erfasste und begleitete, bezog sich nicht nur darauf, menschliche Abgründe in Form zu fassen sondern auch auf die Schönheit von Himmel, Erde, Wasser – und der Menschen. Die Malerei ist für mich bis heute eine Verbindung von Außen und Innen, ein Wegweiser zur Quelle des Menschseins, die wir analysieren und in einer Synthese als ein Portal des inneren Fortschritts nutzen können. Im Zustand der Leidenschaft sind wir wehrlos, und deshalb unterliegen wir manchmal auch den Einflüsterungen unseres Unbewussten. Wenn sich die innere Welt mit der Äußeren schlagartig verbindet, zeigen sich Symptome die an eine Krankheit erinnern – es ist der Widerhall der äußeren Situation auf einen unbewussten Wunsch der solche Symptome auftreten lässt. Ein inneres Fieber ver-rückt uns in einen gänzlich anderen Zustand, das ist der Indikator dafür, dass wir das Ende eines Fadens in den Händen halten der uns dem Tor einer Erkenntnis näher bringt, und dessen Öffnung nichts weniger ist als der eigentliche Auftrag des Lebens. So geschehen in Pribor, unweit des Geburtshauses von Sigmund Freud im Mai 2022, wo sich einmal mehr und tatsächlich unerwartet ein Tor öffnete. Die negativen Wirkungen leidenschaftlichen Auslebens werden schon im Begriff deutlich – anfänglicher Rausch mündet in Konflikte, die Nebenwirkungen dieser Droge sind beträchtlich und wirken zerstörerisch, wenn sie sich der Analyse durch die Vernunft entziehen. Die Schwelle zwischen positiver Leidenschaft und deren negativen Folgen zu erkennen und zu finden, das ist die wahre Lebenskunst. Ihre Kraft zu nutzen und sie in etwas Beständiges zu transformieren ist eine Fähigkeit des entwickelten Menschen, darin sind Verantwortung und Empathie enthalten, Kräfte die Einhalt gebieten.

II.

Aber auch die größten Tore sind nie absolut, sie verdichten lediglich die Erlebnisstränge und Erfahrungen auf engen Raum. Was sich dahinter auftut kennen wir nicht, wie wir das Ende eines langen Satzes beim Schreiben des ersten Buchstabens noch nicht wirklich kennen. Doch ahne ich jetzt, vor dem alten Portal in Pribor eine andere Wirklichkeit im gleißenden Licht der Sonne, das durch den oberen Teil des Rundbogens strömt. Ich sehe den Kirschbaum dort hinten im Garten, dessen Ast sich mir durch die geborstene Öffnung entgegen reckt. Ich sehe – oder ist es ein Wachtraum, wie er jetzt im März beginnt zu blühen und tief rote Früchte in Form eines Herzens trägt. Sind sie der Grund dass sich meine Erregung noch weiter steigert? Sind die Früchte als eine Aufforderung an mich gedacht, entleerte Herzen zu berühren und zu füllen?

Wann wurden wir das letzte Mal wirklich berührt? Wann überfiel uns die Leidenschaft für etwas oder für jemand? Wie oft bleiben wir an der Oberfläche gebunden und fixiert, führen ein Leben im Graubereich? Meine nach vielfältigen Erfahrungen in Bildern gefasste und dokumentierte Leidenschaft zwingen mich in die materielle Realität – dass das zu Tuende getan werden muss, um welchen Preis auch immer. Welcher Preis auch immer? Dies wörtlich zu nehmen bedeutete doch eine Negativbilanz die jede weitere Leidenschaftlichkeit und damit Ideenzufuhr unterbinden würde. Deshalb ist es wichtig die Flamme zu kontrollieren, sich daran zu wärmen und zu erfreuen, und dennoch, ihr im richtigen Moment Einhalt zu gebieten und ihr irdische Substanz zu verleihen.

Leidenschaft und Perfektion sind zwei sich zentrifugal widerstrebende Kräfte, doch ermöglicht die Perfektion wie ich sie in meinem Werk fordere, eine Transformation der hochlodernden Flamme des Einfalls in einen beständigeren Aggregatszustand, sie wird als Gegenüber für mich selbst und andere lesbar und reduziert die fatale Wirkung des inneren Feuers. Das Tor von Pribor, das ich als Leitmotiv wählte, ist für mich eine Passage in einen anderen Erkenntnisstand der vorher nicht zugänglich war. Am Ende dieser vorläufigen Entwicklung steht für mich die Herzenergie – oder „das Wahre, Schöne und Gute“. In der goldenen Fläche des Werkes spiegelt sich dies als das universelle Feld der Schöpfung.

III.

Das Tor ist offen, noch mehr der Geist. Das Unsichtbare ans Tageslicht zu heben, das Verborgene sichtbar zu machen, den inneren Kern der alle Menschen untereinander und mit der Natur verbindet zu studieren, das war seit jeher das Motiv meines Lebens und meines Werkes. Und dies heißt den innersten Wesenskern, den Ursprung von Glück und Unglück zu erforschen und mit ihm in einen Dialog auf Augenhöhe zu treten. Es lag weit außerhalb meiner Vorstellung mich mit der Kunstszene der Gesellschaft zu identifizieren, eine Kunst in der für mich keine Zukunft und keine Antworten auf meine Fragen zu finden waren. Als ein „Alien“ unter meinesgleichen fasste ich lediglich mein Erlebtes und meine Neugier in maltechnische Form. Dies war mir auf Grund des Erlernten möglich. Und mit jedem der Schritte, die thematisch auf meinem Weg lagen, öffnete sich wieder ein kleiner Spalt der Erkenntnis. Daraus resultiert – was ich tat, tat ich nicht für die menschliche Gemeinschaft. Wenn diese es für sich nutzen konnte, wenn sie daraus die Kräfte beziehen konnte die ich selbst daraus bezog, oder gar das an sich wertlose Geld in etwas Sinnvolles verwandeln wollte, so sah ich dies als schöne Beigabe. All dem lag das Potential meiner Leidenschaft zugrunde die mich bewegte ohne an Nutzen und Entlohnung zu denken. Sie war es die mich zielgerichtet zu neuen Ufern führte, sie war es auch die mir das Tor von Pribor öffnete und damit in einen neuen Lebensabschnitt führte.

Ist es nicht höchst erstaunlich dass die Reihe der verschiedenen und wichtigsten Schritte in Wien begann – sich zielgerichtet durch Mähren fortsetzte bis nach Pribor, der Geburtsstadt Freuds, der, so wenig wie ich ein Künstler Arzt sein wollte, stattdessen aber der Funktion der Seele auf den Grund ging wie zuvor kein anderer? Begonnen hatte ich als „Meister gemalter Unverschämtheit“. An dem Thema „Heroes and Champions“ hatte ich mich in New York abgearbeitet und in der Politik deren beschränkte Unvermeidlichkeit erfahren. Dann der Quantensprung – in Wien mit der „Ars Erotica“, der „Magna Mater“ in Pavlov und zwischendurch die Hebung abgestürzter Flieger des Krieges aus mährischer Erde. Venusbankette vor den Türmen des AKWs in Temelin, eine getanzte Kunst statt Drogen für Diskotheken, und ein Mysterientheater in Sedlec über die Reise der Seele nach dem Tod. Ist es verwunderlich, dass ich schließlich und heute zur Überzeugung gelangt bin dass, was auch immer wir zu irgendeinem Zeitpunkt tun, das Einzige ist, das wir hätten zu diesem Zeitpunkt tun können? (Übrigens entspricht diese Einsicht dem „Bellschen Theorem“ der Quantenphysik.) Oder, anders gesagt und nach Freud – „alles was aus uns wird oder geworden ist – es war der tiefste Wunsch der Seele“. Ist das die Ewigkeit? Ich glaube es ist die Akzeptanz der Ewigkeit.

Metapher

Sonntag, Ostern 2022 Auf der Fahrt nach Brünn zwischen Krems und Stockerau. In Gedanken immer wieder die Frage „weshalb schon nach wenigen Tagen wieder diese Reise“? Ich befinde mich in einer Art  Zwischenzustand nach Vollendung des Zyklus der Seidenstraße. Die ratternde Automotivation ist zum Stillstand gekommen. Ein Vakuum breitet sich in mir aus,  künstlerische Narkolepsie droht. Da regt sich plötzlich Widerstand, ein eindringliches Wort erscheint in leuchtenden Lettern auf dem Gedankenmonitor – „LEIDENSCHAFT“. Kaum gedacht oder mehr noch empfunden dieses Wort, da, plötzlich, von irgendwo her geflogen schert ein Götterbote in Form eines Transporters vor mir ein so dass ich gezwungen bin scharf abzubremsen.  Mit übernächtigten Augen starre ich auf die Rückseite des Fahrzeugs. Dort steht in großen Buchstaben der Werbeslogan einer Firma – „Leidenschaft und Perfektion“. Die Koinzidenz der innerhalb von Sekunden auftretenden Ereignisse läßt mir das Blut in den Schläfen hämmern, ich spüre wie mich eine gewaltige Kraft von oben bis unten durchströmt.

Kommenden Tages breche ich von Brno/Brünn auf in Richtung „mährisches Tor“, in die wunderschöne Landschaft nördlich von Ostrava die an Polen grenzt. Das Städtchen Pribor, zu Deutsch Freiberg, erscheint auf dem Hinweisschild. Ich vergesse das mährische Tor, könnte ja sein, dass diesmal, nun schon vierten Anlauf das Museum im Geburtshaus des Sigmund Freud geöffnet ist. Und tatsächlich, die Tür ist offen, ich trete ein. Es empfängt mich Martina die Kuratorin mit bezauberndem Lachen... Doch ist dies nicht das einzige offene Tor an diesem Tag. Unweit des Museums, in der Boniface Buska, sehe ich ein uraltes sandsteinernes Portal im Rundbogen. Die beiden Flügel des Tores in verblichenem Indigo hängen lose in den Scharnieren, was mich fatal an den Zustand unserer zerbrechenden Gesellschaft erinnert. Links unten eine herausgebrochene Füllung durch die der Blick in das dahinter liegende Grundstück gelangt. Dort wächst´s und gedeiht´s zwischen moosigen Trümmern und den gerade ausschlagenden Zweigen eines alten Kirschbaums.

Nun treten auch die üblichen „Krankheitssymptome“ auf wie sie sich am Anfang einer jeden Idee zeigen. Eine Art kreative Raserei erfasst mich, ich entferne mich von dem Portal, kehre um, zwei oder drei Mal dasselbe – ich fertige eine Skizze an, als kleiner Anhaltspunkt des Erlebten: HERZBLUT - mit Leib und Seele, rückhaltlose Zuneigung und flammende Überzeugung. Dann – Transzendenz des Banalen.

Erst später finde ich ein Zitat der Zisterzienser: „Porta patet – cor magis – das Tor ist offen – das Herz noch mehr.“ Und weiter – „Leidenschaft ist in ihrer positiven Form ein Antrieb Exzellenz in einem bestimmten Bereich zu erlangen“.

Mai 2022

Der Garten des Unendlichen

Welche Gärten sind es die ich, der Maler, hinter dem nun bedrohten Paradies der Selbstverständlichkeiten sehe? Es sind die Gärten einer parallelen verborgenen Welt, die bis tief in unser Innerstes reichen.

Es sind Gärten weit über unsere Begrenzungen hinaus und tief in uns hinein. Gärten in denen der Mensch die schönen Blumen seiner natürlichen Begabungen hegt und pflegt und mit ihnen das entleerte Herz füllt. Es sind Gärten voller Pracht in denen die duftenden Blüten der Kreativität, der Schönheit und der Lebenslust unsere Herzen erfreuen. Ähneln sie nicht der Allee der Unendlichkeit im Garten der Villa Cimbrone von Ravello? Erinnern sie nicht an den Garten des Decameron in Fiesole, in dem zehn junge Menschen sich mit ihren Erzählungen der Katastrophe der Pest räumlich, geistig und sinnlich entzogen?

Was ich meine sind sicher nicht die grauen Gärten und Parks industrieller Produktion, sicher nicht die Parks gelangweilter Massenmenschen sondern den inneren Garten der Seele, des aus sich selbst heraus existierenden beglückenden und geistdurchdrungenen Wandels auf dem Planeten. In meinem neuen Thema berühren sich die Wege der Psychologie, der Philosophie und der Religion. Es geht um den Hauch des Unendlichen, das die moderne Physik als „das Prinzip der nichtörtlichen Lokalität“ bezeichnet. Wege der Erkenntnis fliessen zusammen und münden in das Ganze des Ganzen, begrenzt und ohne Grenzen, blühend und vergänglich, in der Zeit und zeitlos. Ein Garten in dem sich das Größte und das Kleinste gleich sind. Ein unsichtbarer Garten in dem wir geborgen sein dürfen, wenn wir uns nur die Mühe machten das Tor zu ihm aufzustoßen. 

Es liegt im Wesen unserer Existenz dass wir versuchen die Realität berechenbar zu machen, sie unserem Verstand zu unterjochen – die „nichtörtlichen Ursachen und Lokalitäten“ mit Hilfe von Statistiken in berechenbare Größe zu fügen und dingfest zu machen.   Doch belehrt uns jede „Gunst einer Stunde“ eines Besseren. Glück, aber auch Unglück treffen uns immer unvermittelt. Wir sind einer Gnade ausgesetzt von der wir nicht wissen wer sie gewährt und gegen deren Geheimnis wir uns sträuben weil wir ahnen dass wir nichts wissen. Wir häufen Besitz an ohne Bestand, wir veranstalten Kriege obwohl wir wissen dass wir scheitern. Das sind Krankheiten und offenbarende Wesenszüge menschlicher Natur. Doch lebt der Daseinsgarten den ich meine auch aus diesen negativ empfundenen Vorgängen, sind der Dünger, der Kompost aus dem Neues entsteht.

In unserem Leben scheint alles von einander getrennt, weil wir die komplexe Wirklichkeit nicht überblicken und gefangen sind in unserem eingrenzenden Bewusstsein. Und doch verändern wir das Universum mit den kleinsten Gesten von denen wir glauben sie wären so unbedeutend, dass sie keine Spuren hinterließen. Wir haben es in der Hand...

In welcher Weise ist dies alles nun für unseren Alltag von Bedeutung? Was bedeutet es für uns im Umgang mit der Welt? Die Empfindung der Unendlichkeit wie ich sie als Kind selbstverständlich fühlte – ist sie nur eine eingeprägte Ahnung die ihren Anfang im Seligkeitsgefühl uteraler Existenz nahm? Warum berühren uns manchmal Gärten und Menschen in ihrer inneren und äußeren Schönheit so sehr, lassen uns erschauern? Weil sie vom Geist durchdrungen sind. Die Kunst ist für mich das Mittel meiner Existenz auf den Grund zu gehen. Dazu bedarf es keiner Theorie, sondern nur des Lebens selbst – und eines wachen Blicks. Die Mittel meiner Forschung und Suche sind Holztafeln, Farben und Werkzeug. Selbst in einem so streng organisierten kreativen Prozess wie ich ihn bevorzuge existiert keine „Örtlichkeit“ und keine genaue „Lokalität“: Wie ist heute meine Befindlichkeit – wie ist der Zustand der Mittel, ist die Luft kalt und feucht, oder trocken und heiß? Die Vorstellung der ursächlichen Idee im Kopf ist ein Idealbild das für den Augenblick perfekt sein mag, es perfekt auf die materielle Ebene zu übertragen, ist immer von Ungewissheit begleitet. Ein Faktor bleibt unbekannt – die Störung des Geplanten, welcher Art auch immer. Doch auf jede Störung folgt kreative Reaktion – und wie aus einem zu Boden gefallenen Blumenkorb streuen sich die Blüten und verändern Bild und Welt, Familie und Beruf.

Es ist für viele schwer, das was geschieht, ob durch natürliche Prozesse oder durch Menschenwerk, in eine Einheit zu fassen. Der Gegensatz zwischen dem Garten des Paradieses und dem Garten des sogenannten Bösen bildet keinen Widerspruch, er existiert nur in unserem Bewusstsein, tatsächlich bedingt das Eine das Andere. Wenn wir die Naturprozesse studieren und kontemplieren, stellen wir fest, die großen architektonischen Gärten der Geschichte beinhalten Vergänglichkeit und Erblühen, Verwelken und Erröten. Fäulnis und Tod ist der Dünger des Lebendigen und selbst diese „Materia Prima“ ist bevölkert mit zahllosen Lebewesen. Was wir zu uns nehmen, ob als Nahrung oder reinem Genuss  ist daraus entstanden, was wir schön finden ist dadurch schön. Nach großen Katastrophen, die ich als Fäulung des Abgelebten, Unnützen interpretiere, setzen neue Entwicklungen ein, bis auch sie wieder zum Kompost der Geschichte werden, die Hybris des Menschen selbst ist das Lösungsmittel, die Fermentierung die zu Neuem führt.

Als Maler erlebe ich hautnah die Ausblendungen, Verdrängungen, eine eindimensionale Wahrnehmung der Menschen und es tut weh. Bedeutet es doch immer nur ein halbes Leben, eine halbe Schönheit, weil wir das Dunkle nicht sehen wollen bis die Seele es uns drastisch ins Bewusstsein ruft. 

In Mai diesen Jahres hat sich wieder ein Tor geöffnet und ich habe begonnen die Welt als Garten zu erfahren. Dort liegt der Kompost, hier grünt und blüht es. Dort ist Dürre, hier feuchter Humus. Dieser Stelle gilt des Gärtners Zuwendung, der Anderen weniger. Heute arbeitet er konzentriert, morgen eher nachlässig. Manche Pflanzen neigen sich einander zu, manche sondern sich ab und einige bilden eine Symbiose. Mein Garten ist ein Garten ohne Mauern. Er umfasst alles und zeigt sich doch auch nur durch eine einzige Blüte, in deren Zentrum sich überschneidende Kreise ein Modell des Universum bilden. Das kleinste Gänseblümchen reicht aus um in seiner Betrachtung den universalen Garten zu finden.

Hinter dem geborstenen alten Tor das ich in Freuds Geburtsstadt Pribor in Mähren sah und das ich als Leitmotiv verwendete entdeckte ich die Kirschen, Herzmotive allein nur durch ihre Form und Farbe. Aber ich entdeckte auch das Absolute im Gold der Lichtstrahlen die aus diesem Garten auf mich strömten. Und danach, zum ersten Mal empfand ich den Duft der Rosen vor meinem Atelier bis in die Seele hinein.

Das zweite Leitbild des Zyklus nach dem Motiv des Tores geht auf ein Werk aus dem Jahr 2006 zurück. Damals trug es den Titel „Brückenschlag“ und wartete offensichtlich darauf mit neuem Inhalt versehen zu werden. Ich löste die geborstenen Metallteile des Krieges ab und eine neue Dimension wurde sichtbar. Dort wo sich die aufgenagelten Metallteile befanden wurde jetzt eine Schicht in Lapislazuli Blau sichtbar wie ein Durchblick in den unendlichen Himmel. Den Vordergrund bestimmt die lehmige Erde aus der Bergung des Piloten Kaiser. Für mich ist dies die Erde des Gartens, die, so unansehnlich sie erscheint doch den Nährboden für die Erkenntnis des universalen Gartens bildet.

Der Text des Katalogs zur Ausstellung in Berlin Tempelhof von 2006 in seiner ursprünglichen Version lautete:

„Die Kunst ist wie ein Architekt, der Brücken des Verständnisses erbaut und ungangbare Wege passierbar macht. Sie lädt die Menschen ein, einen Blick über ihre inneren Begrenzungen und über ihre Grenzen der Gegenwart in die Vergangenheit zu tun, aber auch den Blick in die Zukunft zu richten. Die Kunst verbindet Vergangenes und Zukünftiges zu einer Achse der Kontinuität.“

Manfred Scharpf, Juli 2022